5 Zutaten für eine gute Reitfähigkeit – Dein Weg zu mehr Körperintelligenz im Sattel

Was macht einen guten Reiter eigentlich aus? Einen, der nicht nur „draufsitzt“, sondern reitet? Vielleicht hast du schon einmal den Begriff Reitfähigkeit gehört – vielleicht aber auch nicht. In jedem Fall lohnt es sich, diesen Begriff mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn: Wer seine Reitfähigkeit trainiert, legt den Grundstein für einen ausbalancierten Sitz, feinfühlige Hilfen – und ein zufriedenes Pferd.

Was bedeutet Reitfähigkeit wirklich?

Reitfähigkeit ist mehr als ein korrekter Sitz. Es geht nicht nur um eine aufrechte Haltung oder ein klassisch „gerades“ Reiterbild.

Stattdessen geht es um die Fähigkeit, das Pferd aktiv mit dem eigenen Körper zu begleiten – also nicht nur passiv zu „sitzen“, sondern die Bewegung bewusst zu spüren, zu steuern und feinfühlig zu beeinflussen.

Ein reitfähiger Mensch kann:

sich selbst gut koordinieren,

• sich an das Bewegungsmuster des Pferdes anpassen,

Hilfen bewusst und dosiert geben,

• und das Pferd nicht stören, sondern unterstützen.

Dazu gehören körperliche Komponenten wie Beweglichkeit, Kraft und Gleichgewicht – aber auch mentale Aspekte wie Reflexionsfähigkeit und innere Klarheit.

5 Zutaten für eine gute Reitfähigkeit

Hier kommt mein bewährtes 5-Zutaten-Rezept, das du Schritt für Schritt in deinen Alltag integrieren kannst – egal ob du Freizeitreiterin oder ambitionierte Turnierreiterin bist:

Zutat 1: Ein funktionierendes Gleichgewichtsorgan – die unsichtbare Grundlage für sicheres Reiten

Im Reitsport zeigt sich ein Hohlkreuz oft durch:

  •       ein nach vorne gekipptes Becken
  •       Spannungen im unteren Rücken
  •       fehlende positiver Spannung im Oberkörper
  •       Beschwerden und Spannungen im Bauch (Blähbauch, Nahrungsmittelunverträglichkeiten)
  •       oder muskulären und faszialen Dysbalancen

 

Aber auch hier gilt:

Nicht die Optik zählt, sondern die Funktion.

Ein stabiles, kontrolliertes Becken kann trotz sichtbarer Lordose super funktionieren – solange es nicht in einer Extremposition festhängt.

 Was viele unterschätzen: Reiten ist permanentes Beschleunigungstraining.

Beim Reiten wirken verschiedenste Kräfte auf uns:

  • Vertikale Beschleunigung beim Leichttraben oder beim Sprung (Auf-und-Ab)

  • Laterale Verschiebungen in der Wendung oder im Seitengang (Seitwärtsbewegungen)

  • Rotationen des Rumpfes, wenn das Pferd sich biegt

  • Stopp und Antritt  beim Übergang

  • „Flugphase“ über dem Sprung – eine kurzzeitige Schwerelosigkeit

Damit wir diese dynamischen Reize sicher verarbeiten können, brauchen wir ein zentrales System: Unser vestibuläres System, also das Gleichgewichtsorgan im Innenohr.

Warum das Gleichgewichtsorgan dem Gehirn „Sicherheit“ meldet

Das Gleichgewichtsorgan ist nicht nur für „nicht runterfallen“ zuständig.

Es ist ein Frühwarnsystem – und ein Koordinationszentrum.

Wenn das vestibuläre System korrekt funktioniert, meldet es dem Gehirn:

„Alles okay, ich weiß, wo ich bin.“

Nur dann kann dein Körper flüssig, feinmotorisch und präzise reagieren – was gerade beim Reiten entscheidend ist.

Funktioniert es nicht gut, fühlt man sich:

  • wackelig im Sattel

  • schneller überfordert bei Tempo oder Richtungswechsel

  • eventuell sogar schwindelig oder „kopflos“

 
Gleichgewicht vs. Balance – ein wichtiger Unterschied
  • Gleichgewicht ist die physiologische Fähigkeit, Reize aus dem Raum (z. B. Beschleunigung) zu verarbeiten. Es ist im System verankert.

  • Balance ist die aktive Umsetzung – wie du durch Körperspannung, Muskelarbeit und Koordination auf diese Reize reagierst.

Beispiel:

Ein funktionierendes Gleichgewichtsorgan hilft dir zu erkennen, dass das Pferd nach rechts abwendet.

Deine Balance entscheidet, ob du dabei stabil bleibst – oder aus dem Sattel kippst.

Fazit:

Ohne ein gut funktionierendes Gleichgewichtsorgan fehlt deinem Körper die Grundlage, um im Sattel sicher und fein reagieren zu können.

Wenn du dich oft instabil, unsicher oder hektisch fühlst – trainiere nicht nur deine Muskulatur, sondern auch dein vestibuläres System.

Zutat 2: Propriozeption – Dein inneres Navi

Propriozeption ist die Wahrnehmung deines Körpers im Raum – also das, was dir sagt, wo dein Becken gerade steht, wie viel Spannung in deiner Hand liegt oder ob du ausgleichst, ohne es zu merken.

Im Sattel ist diese Eigenwahrnehmung entscheidend:

Nur wer sich selbst gut spürt, kann auch das Pferd präzise fühlen und führen.

Warum ist das so wichtig?

  • Du gibst Hilfen nicht nur bewusst, sondern auch dosiert und passend zur Bewegung

  • Du nimmst Spannungsveränderungen beim Pferd wahr – z. B. beim Abfangen, Abheben oder Durchparieren

  • Du kannst dich gezielt korrigieren, statt unbewusst zu kompensieren

Balance als Teil der Propriozeption?

Ja – Balance ist eine motorische Reaktion, die auf propriozeptive und vestibuläre Informationen basiert.

Ohne Körperwahrnehmung keine bewusste Balance.

Wie kannst du sie verbessern?

Mit gezielten Sitztools – Bänder, Schwämme, Bälle oder instabile Unterlagen. Sie setzen gezielte Reize auf deine Tiefensensibilität. Auch ein sensorisches Warm-up aus der Neuroathletik kann Wunder wirken, um deinen Körper „wachzuschalten“.

Fazit:

Propriozeption ist die Grundlage für feines Reiten.

Sie macht deine Kommunikation und Hilfengebung klarer – und deine Verbindung zum Pferd tiefer.

Zutat 3: Blickführung – Die Augen lenken deinen Sitz

Unsere Augen sind mehr als nur Sehinstrumente – sie sind ein zentrales Orientierungs- und Steuerungssystem.

Der Körper folgt unbewusst der Blickrichtung. Wenn du im Sattel schaust, wo du hinreiten willst, richtet sich dein gesamter Bewegungsapparat danach aus.

Eine bewusste Blickführung verbessert automatisch deine Bewegungsqualität, weil das System sich sicherer fühlt und klarer agieren kann.

Warum das so wichtig ist:

• Deine Kopf-, Schulter- und Beckenachse richtet sich an deinem Blick aus

• Deine Körperspannung wird gezielter koordiniert

• Dein Gleichgewichtssystem wird entlastet, weil die visuelle Orientierung Sicherheit gibt

Blickhilfen für besseren Sitz?

Ja!

Gezielter Einsatz von Blickzielen, Augenlinien oder peripherem Sehen kann deinen Sitz stabilisieren – und deinem Pferd Orientierung geben. Auch in der Neuroathletik wird mit gezieltem Augentraining gearbeitet, z. B. Blicksprünge, Fixationsübungen oder peripheres Sehen.

Wichtig: Nicht starren! Weicher, fließender Blick = fließende Bewegung.

Fazit:

Die Blickführung ist eine unterschätzte Stellschraube im Reiten.

Sie beeinflusst Haltung, Sicherheit und Stabilität – und ist ein einfaches, wirkungsvolles Tool für feineres Reiten.

Zutat 4: Rhythmus- und Reaktionsfähigkeit – Im Flow mit dem Pferd

Reiten ist Bewegung im gleichen Takt – und im Dialog.

Eine gute Rhythmusfähigkeit hilft dir, die Bewegung deines Pferdes zu begleiten, statt sie zu unterbrechen.

Eine gute Reaktionsfähigkeit sorgt dafür, dass du rechtzeitig und angemessen auf Veränderungenreagierst – sei es beim Sprung, beim Stolpern oder beim feinen Nachgeben in der Hand.

Warum ist das wichtig?

• Rhythmus vermittelt Struktur, Orientierung und Sicherheit – nicht nur dir, sondern auch dem Pferd

• Reaktionsfähigkeit schützt dich vor Kontrollverlust – z. B. beim Rutschen, Stolpern oder plötzlichen Wendungen

• Beides gemeinsam fördert eine harmonische Hilfengebung, die im richtigen Moment kommt – nicht zu früh und nicht zu spät

Wie trainieren?

Schritte zählen, um ein Gefühl für Takt und Gleichmaß zu entwickeln

Reiten zu Musik – ideal als akustischer Taktgeber

Akustische Signale, wie einen Taktgeber oder das Zählen an sich nutzen um sich selbst einen Rhythmus vorzugeben

Wechselübungen (z. B. Tempounterschiede, Übergänge, Handwechsel), um flexibel und reaktiv zu bleiben

Fazit:

Rhythmus- und Reaktionsfähigkeit machen dich zu einem verlässlichen, feinfühligen Partner im Sattel.

Sie bringen dich raus aus dem „passiven Mitreiten“ – und rein in den aktiven Bewegungsfluss mit deinem Pferd.

Zutat 5: Reflexion – Bewusst reiten heißt fair reiten

Gute Reitfähigkeit endet nicht im Sattel – sie beginnt oft erst danach.

Reflexion bedeutet, dass du deine Einheiten bewusst planst, beobachtest und auswertest. Und zwar nicht nur, wie es für dich war – sondern auch, wie es für dein Pferd war.

Warum ist das wichtig?

• Du klärst dein Ziel vor dem Reiten – statt nur „irgendwas zu machen“

• Du überprüfst ehrlich: Kann ich das schon reiten? Kann mein Pferd das leisten?

• Du entwickelst mehr Klarheit und Fairness im Training

• Du erkennst Zusammenhänge – z. B. zwischen Spannung, Hilfen, Reaktionen und deiner eigenen Haltung

Wie kann Reflexion konkret aussehen?

Vor dem Reiten:

Was ist mein Ziel heute? Passt es zum aktuellen Zustand von mir und meinem Pferd?

Währenddessen:

Was gelingt? Was nicht? Wie reagiert mein Pferd?

Nach dem Reiten:

Was nehme ich mit? Was war fair, was nicht? Was war gut? Was mache ich beim nächsten Mal anders?

Tools zur Unterstützung:

Videoanalyse: Sich selbst filmen, um Muster und Hilfen realistisch zu sehen

Reittagebuch: Regelmäßige kurze Notizen über Ziel, Umsetzung, Gefühl, Pferdeverhalten

Teilschritte formulieren: Große Aufgaben (z. B. fliegender Wechsel, Schulterherein) in realistische Schritte zerlegen

Trainer-Feedback: Ehrliche Einschätzungen von außen nutzen, um blinde Flecken aufzudecken

Fazit:

Reflexion bringt Struktur, Selbstverantwortung und Tiefe in dein Reiten.

Sie hilft dir, dein Pferd fair zu fördern – und deine eigenen Fähigkeiten gezielt zu entwickeln.

Denn: Wer reflektiert, reitet bewusster. Und wer bewusster reitet, wird zum echten Partner für sein Pferd.

Über die Autorin
Autorin Vanessa-Christin Fautsch

Vanessa-Christin Fautsch

Als Physiotherapeutin, Podcasterin und Günderin von Reiter bewegen® betreut Vanessa-Christin Reiter und Pferde. 

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